Süßwassermatrosen: 20 Jahre Leader-Ship

29/11/2011

Um diese zwanzigjährige Odyssee durch die schwere See der Instanzen und die Gezeiten von Gunst und Misstrauen gebührend zu feiern, wird im Frühling nächsten Jahres eine Broschüre erscheinen, zwischen deren Deckeln sich, ohne zwischen Kapitän und Schiffsjungen zu unterscheiden, ein Teil jener Mannschaft wiederfindet, die dazu beigetragen hat, die LEADERFracht zielsicher in den Hafen zu bringen.

Als kleine Einführung finden Sie hier das Portrait eines Mannes, der sich zwar nie als Befehlshaber betrachtete, dem jedoch der Verdienst zugute kommt, damals, 1991, den Anker gehievt zu haben.

Jean-Pierre Dichter

Mit seiner schlanken Statur, dem aufmerksamen Blick und dem leicht ironischen Lächeln ähnelt unser Mann niemandem weniger als dem fluchenden Seebären aus einem gewissen Comic. Da passt der Spitzname ”Monsieur Leader”, den sich seine Nachfolger für ihn ausdachten, schon eher. Humorvoll und anekdotenreich schildert Jean-Pierre Dichter das LEADER-Abenteuer von den ersten Schritten – pardon, dem Ablegen – einem unbekannten Ziel entgegen.

Als 1989 die Rede davon war, die ländliche Entwicklung durch ein ”Programm 5b” getauftes Operationsprogramm, dem Vorläufer der LEADER-Initiative, zu fördern, sah der damalige Abgeordnete und Bürgermeister von Wiltz diese gut gemeinten Pläne durch zwei Brillen: der des Politikers, der die Anliegen seiner Wähler zu vertreten hatte, und der des Sekundarschullehrers, der Sinn und Nutzen seines Stoffes vermitteln sollte.

Im Oktober 1991 begann die erste LEADER-Partnerschaft in den Gemeinden um den Obersauerstausee (Region Redange-Wiltz). Zu einer Zeit, als sich die Einwohner der ländlichen Regionen, insbesondere des Nordens, unseres Landes, ohnehin bereits von den Entscheidungen der eigenen Regierung ausgegrenzt fühlten. Was sollten sie sich demnach von Projekten erwarten, die irgendwo in Europa beschlossen worden waren?

Herr Dichter war überzeugt, dass die Region dringend aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden musste und wählte eine partizipative Vorgehensweise. Denn um die angeborene Skepsis seiner Mitbürger zu lindern, galt es, ihre Sorgen ernst zu nehmen und ihnen klarzumachen, dass Entscheidungen nicht über ihre Köpfe hinweg gefällt werden.


Von Anfang an war klar, eine Verbesserung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens im Ösling konnte nur dadurch erzielt werden, dass die von der EU zur Verfügung gestellten Mittel in die Köpfe und in das Schaffen einer Partnerschaft aller Beteiligten investiert wurden. Vor allem musste man auf Kirchturmpolitik jeglicher Art verzichten.

Eines der sichtbarsten Ergebnisse dieser Bestrebungen ist sicherlich der 1999 gegründete Naturpark Obersauer. Dieser nicht mehr wegzudenkende Bestandteil des Öslings verdankt sein Dasein zum großen Teil der dichterschen Energie und Ausdauer.

Angesichts solcher Operationen und der großen Akzeptanz bei der Bevölkerung war schnell klar, die Wette war gewonnen, doch der Plan längst nicht zur Gänze umgesetzt. Der erfreuliche Ausgang dieser ersten LEADER-Periode (1991-1995), zog eine zweite (1995-2000), immer noch auf Innovation setzende Phase nach sich, diesmal zusätzlich mit der Region Clervaux-Vianden, und schließlich eine dritte (2001-2007), bei der fünf Regionen (Redange-Wiltz, Clervaux-Vianden, Müllerthal, Miselerland, Eisch/Mamer-Täler) autonom wirkten. Und das Abenteuer geht weiter mit einer vierten Periode (2008-2014).

Sicher sind die Transparenz der Prozeduren und die aufwertende Einbindung in einen internationalen Kontext die Schlüssel zum Erfolg von LEADER, das Einzigartige daran liegt jedoch nach Jean-Pierre Dichter in der Tatsache, dass LEADER in der Lage ist, die unterschiedlichen Temperamente der Mitwirkenden zu berücksichtigen und auf diese Weise zu einem Europa mit menschlichem Antlitz beizutragen.

Wenn man den Regierungsrat beim Landwirtschaftsministerium a. D. zu seiner Person befragt, gewinnt man den Eindruck, dass er sich schwer tut, von all dem, was er während seiner Dienstzeit ins Rollen gebracht hat, Abstand zu nehmen. Als Rentner fällt sein Rückblick auf seine berufliche Laufbahn eher kurz aus: zuerst Mathematik- und Physiklehrer, anschließend Kommunal- und Landespolitiker, und schließlich dieser Posten beim Ministerium, natürlich mit dem Spezialgebiet ländliche Entwicklung. Seine Aufgabe als nationaler Koordinator diverser LEADER-Programme beschreibt er als eine lange Pilgerfahrt von Gemeinde zu Gemeinde, mit reichlich Erfahrung auf kommunaler, nationaler und vor allem europäischer Ebene im Gepäck.

Unter den zahlreichen Themen, mit denen er sich bei diesen Unternehmungen befasste, liegt eins ihm besonders am Herzen, nämlich die Weiterbildung. Vorwärtskommen, sich ständig weiter entwickeln, auf diesen Drang lassen sich seine Begeisterung und Unermüdlichkeit zurückführen. Und unter diesem Gesichtspunkt schätzt der gipfeltreffengeeichte Gesellschaftsmensch sich glücklich: ”Ich habe immer gemacht, was ich wollte!” stellt er fest.

Seit er sich 2005 von der Berufswelt verabschiedet hat, ist es keineswegs still um den rührigen Gründervater beworden. Statt sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen, ist er vom Reisefieber gepackt. Nach einem längeren Aufenthalt auf Malta, im Auftrag eines Projektes für – was sonst? – ländliche Entwicklung, engagiert er sich bei der ONG ”Cap-Vert – Espoir et développement” und verbringt einen Großteil seiner Zeit auf dem afrikanischen Archipel.

So gesehen war das Bild des Schiffskapitäns auf hoher See, trotz allem Anschein, vielleicht doch nicht so schlecht gewählt.

Weitere Informationen über die luxemburgische LEADER-Initiative finden Sie unter www.leader.lu.

Interview und Redaktion durch Marc Angel