Regionalwert AG Lëtzebuerg

Ausgangssituation

Kleinbäuerliche Betriebe, in denen früher eine Vollversorgung stattgefunden hat, sind heute finanziell nicht mehr rentabel. Daher spezialisieren sich immer mehr Betriebe und lagern viele Bereiche aus, die früher vor Ort und in einer Hand lagen. Ein Mikrokosmos wird globalisiert, Transportwege werden länger und die Lieferketten dadurch immer schwieriger nachvollziehbar. Die Wertschöpfung für die Region bleibt auf der Strecke: Saatgut kommt von internationalen Konzernen, Hühnerrassen aus konventioneller Zucht, Düngemittel aus Asien oder Futtermittel aus Osteuropa/Südamerika.

Diese Entwicklung ist in punkto Klimawandel-Problematik kontraproduktiv, auch wird in Zukunft die Klimaresilienz der Nahrungsmittelproduktion einen wichtigen Stellenwert einnehmen und neue Initiativen müssen zum Umdenken führen.

Im Rahmen einer Studienreise während der Laufzeit des LEADER-Projekts „Solidarische Landwirtschaft Atert-Wark“ in die Region Freiburg im März 2017, besuchten wir auch Christian Hiß von der Regionalwert AG Freiburg (www.regionalwert-ag.de). Die Idee fiel auf offene Ohren und wurde jetzt konkret aufgegriffen, um diesen Ansatz auch in Luxemburg umzusetzen.

Christian Hiß, ein Bio-Bauer und Gärtnermeister aus der Region Freiburg, gründete 2006 die Regionalwert Bürgeraktiengesellschaft und schuf damit ein Netzwerk, das die lokale, an ökologischen und sozialen Kriterien orientierte Nahrungsmittelversorgung im Raum Freiburg auf einzigartige Weise fördert. Mit der neuen Form der Bürgeraktiengesellschaft, bei der die Aktionäre die regionale ökologische landwirtschaftliche Produktion aktiv unterstützen und gestalten können, wurde ein Projekt gegründet, das bereits seine Nachahmer gefunden hat und dessen „New local deal“ wegweisend für die gesamte Lebensmittelproduktion ist.

Da im ländlichen Raum nicht nur die Landwirtschaft von der Problematik des enormen Wirtschaftsdrucks betroffen ist, sondern auch die KMU-Betriebe generell, soll hier bei uns im Rahmen eines Pilot-Projekts versucht werden, die Idee der Regionalwert AG breiter aufzustellen und die Versorgungsvielfalt im allgemeinen (alternative Energien, Handel, Handwerk, Gewerbe inkl. Gastronomie/Beherbergung im Gedanken des Slow Tourism) nachhaltig sozial-ökologisch und klimaneutral anzugehen. Initiativen in der LEADER-Region Atert-Wark wie Earthship, Handwerkscluster Climeec, Regionalgeld, nachhaltig-ökologische Vermarktungsplattform Gringgo, Solidarische Landwirtschaft Atert-Wark, Slow Region Wëlle Westen, usw. zeigen dabei den Weg. Hierbei geht es vor allem auch darum den CO2-Footprint so klein  wie möglich zu halten (ökologische Materialien, Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Transportwegen, Verpackungsvermeidung,…).

In einer Fallstudie des Nachhaltigkeitsministeriums (2019) wurde ein Screening von Kommunen auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen durchgeführt: der Redinger Kanton fungierte hierbei als Pilotregion (neben der Gemeinde Schifflingen) und zeigte inwieweit die Region schon Anstrengungen in punkto nachhaltigem Wirtschaften erbracht hat.

Rezent machte sich die Gemeinde Mertzig als erste Gemeinde Luxemburgs außerdem auf den Weg der Gemeinwohlökonomie (LEADER-Projekt).
Mit dem Regionalgeld Beki sowie dem transnationalen LEADER-Projekt über Crowdfunding wäre die Idee einer Regionalwert AG also ein weiterer Meilenstein im Nachhaltigkeitsstreben der Region und ein Impuls für das ganze Land Luxemburg resp. Grossregion.

Gerade die COVID19-Aktualität zeigt uns, wie wichtig ein gut funktionierendes regionale Rückgrat an alltäglichen Produkt- und Serviceleistungen ist.

Einige Erläuterungen zum Thema Regionalwert AG

Mittlerweile gibt es Regionalwert-Aktiengesellschaften in den Räumen München, Hamburg, Rheinland und Berlin-Brandenburg. In einigen weiteren Regionen wird an der Gründung gearbeitet. Die Regionalwert Treuhand ist das Dach der Bürgeraktiengesellschaften. Sie vergibt die Nutzungsrechte an der geschützten Wort-Bild-Marke und berät die interessierten Regionen. Auch in anderen europäischen Ländern wie Spanien und Österreich wird an der Gründung von Bürgeraktiengesellschaften nach Vorbild des Regionalwert-Modells gearbeitet.

Die Regionalwert-Aktiengesellschaften in Deutschland sind Bürgeraktiengesellschaften in der Land- und Ernährungswirtschaft. Bürger und Organisationen (etwa Unternehmen, Stiftungen) kaufen vinkulierte Namensaktien und finanzieren damit Betriebe von der ökologischen Landwirtschaft über die Lebensmittelverarbeitung bis zum Handel und zur Gastronomie. Ihr Geschäftszweck ist die Herstellung von mehr lokaler Ernährungssouveränität unter aktivem Einbezug der am Wertschöpfungsprozess beteiligten Menschen, das heißt der Unternehmer, der Anteilseigner und der Konsumenten. Die Regionalwert-Aktiengesellschaften zählen zur Social-Entrepreneurship-Bewegung, die durch unternehmerisches Handeln gesellschaftliche Problemstellungen lösen will. Die sozialen und ökologischen Leistungen der beteiligten Betriebe werden als Werte mit hoher ökonomischer Relevanz angesehen, und den Aktionären wird jährlich berichtet. Die Regionalwertökonomie ist als grundlegendes ökonomisches Konzept hinterlegt; dabei wird der regionale Wertschöpfungsraum als eine messbare und steuerbare mikroökonomische Einheit betrachtet.
Das Konzept der Regionalwert AG schafft dabei sozialen und geschäftlichen Zusammenhalt. Die einzelnen Unternehmen und Betriebsleiter sind operativ unabhängig, jedoch in ein Netzwerk eingebettet, welches Austausch bietet und Berater, Dienstleister, Verarbeiter und Wiederverkäufer vermittelt. Kurze Lieferketten und regelmäßige Treffen schaffen langfristige Geschäftsbeziehungen. Darüber hinaus fungiert die Regionalwert AG auch als betriebswirtschaftlicher Beistand, indem sie Existenzgründungen finanziert und begleitet, die von Banken abgewiesen werden – und sich dennoch erfolgreich etablieren können. Sozial und ökologisch wirtschaftenden Betrieben wird demnach der Zugang zu Kapital erleichtert.

Regionalwertökonomie

Ökologische und soziale Nachhaltigkeit kommt in unserer kapitalistisch orientierten Welt meist an letzter Stelle nach dem Motto: „Wir können uns Natur- und Umweltschutz und soziale Leistungen erst dann erlauben, wenn das Wirtschaftliche stimmt.“ Dabei ist das heutige Verständnis von Kapitalismus lediglich eine zurechtgelegte Rumpfform seiner selbst und baut auf einem Konstruktionsfehler der betriebswirtschaftlichen Rechnung auf. Wirklich kapitalistisch wird dann gewirtschaftet, wenn das Gesamtvermögen aller Werte einer Gesellschaft – also auch Naturräume, biologische Vielfalt, Versorgungssicherheit und Ressourcen – nicht verbraucht, sondern erhalten und vermehrt wird.

Die traditionelle Buchführung bildet jedoch das Natur- und Sozialkapital von Unternehmen nicht ab. So tauchen beispielsweise die Fruchtbarkeit eines Ackerbodens, der CO2 -Verbrauch eines Produktes oder das Fachwissen der Mitarbeiter in den Bilanzen nicht auf.

Ein Team entwickelt für die Regionalwert AG-Dachgesellschaft seit Anfang 2019 ein Instrument, mit dem sozial-ökologische Faktoren in die Buchführung integriert werden sollen. Es gibt zwei Zielgruppen: einmal den Handel (u.a. Einzelhandel) und das produzierende Gewerbe – und dann die Land-, Forst- und Weinwirtschaft (sowohl Primärproduktion als auch Weiterverarbeitung). Das ist komplettes Neuland. Eine Liste mit Indikatoren, die ein Unternehmen möglichst "ganzhaltig abbilden" werden ausgearbeitet und orientieren sich an den 17 Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung.

Ziele des Pilotprojekts

  • Aufstellen einer Bürgeraktiengesellschaft, welche das Zusammenwirken von Kapitalgebern und Partnerbetrieben zum Aufbau einer nachhaltigen Regionalwirtschaft in Luxemburg und Umgebung fördert.
  • Verbinden von gewissenhaftem, klimaneutralem und klimaresilientem Wirtschaften mit sozial-ökologischer Wertschöpfung, transparent und nach ausgewiesenen Kriterien.

Die Regionalwert AG will zu unternehmerischem ökologischem Handeln mit regionalem Bezug anregen, zu einem pluralen Wirtschaftsverständnis in überschaubaren regionalen Wirtschaftsräumen.

Praktisch stellt sie mittels Kapitalwirtschaft systematisch die Verbindung zwischen städtischem und ländlichem Raum, Produzenten (Bauern, Gewerbe, Handwerk) und Konsumenten her. Die Menschen sollen sich als Verbraucher mit Kapital und Konsum direkt an allen Stufen der Wertschöpfungsketten in ihrem Land / ihren Regionen beteiligen können. Gemeinsam mit den Betrieben und Initiativen in den Räumen können sie für eine Versorgungssouveränität (z.B. mit Lebensmitteln) sorgen.
Sie soll in die verschiedenen Etappen der Wertschöpfungskette investieren und die daran beteiligten Betriebe somit vernetzen. Die weniger rentablen Bereiche können so durch die rentableren aufgefangen werden.

Wirtschaftlich gesprochen will sie, als funktionales Intermediärorgan, die Betriebswirtschaft mit der Volkswirtschaft, die Finanzwirtschaft mit der Realwirtschaft auf dem Gebiet der lokalen nachhaltig-ökologischen Versorgung verknüpfen und einen mehrdimensionalen Profit erwirtschaften.

Regionalpolitisch übernimmt sie durch konkrete Kapitalbeteiligungen an Betrieben in ländlichen Gebieten eine Steuerungsfunktion in der Regionalentwicklung.
Arbeitstechnisch leistet sie vielfältige Aufbau- und Entwicklungsarbeit in der Vernetzung und Betreuung in der Vorgründungs- und Start-up Phase von regionalwirtschaftlichen Betrieben.

Gesellschaftlich will sie die Menschen, die für die Bereitstellung der Lebensmittel/der Versorgung im großen Ganzen arbeiten und das Lebensumfeld kultivieren, wieder stärker in den Vordergrund treten lassen und ihnen Gesicht und Würde zurückgeben, die sie hinter dem Vorhang des anonymen Wettbewerbs verloren haben.

Die jetzige Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil der Bio-Landwirtschaft bis 2025 auf 20% zu erhöhen. Hier kann der Ansatz der Regionalwert AG wertvolle Hilfe leisten. Ebenfalls fördern die Grundwerte der Regionalwert AG die Kreislaufwirtschaft, berücksichtigt den Schutz von Wasser- und Klima, nachhaltiges Bauen usw. Der ökologische Fußabdruck unserer Gesellschaft wird reduziert.

Die Umsetzung dieses Projekts wird die Unternehmen in der Region stärken, insbesondere in Krisenzeiten wie der aktuellen sanitären Krise, die anschaulich zeigt, dass sie die Bürger sensibler macht für eine regionale Wirtschaft mit den Vorteilen kürzerer Wege und geringerer Auswirkungen auf Klima und Umwelt.

Mögliche Ansatzpunkte zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen sowie gegen den Klimawandel:

Die Regionalwert AG

  • erleichtert kleinen Betrieben, Quereinsteigern in die Land- und Weinwirtschaft (inkl. Weiterverarbeitung) Zugang zu Finanzmittel für den Aufbau ihres Betriebes sowie zum Markt. Damit bietet die Regionalwert AG eine Alternative zum bestehenden Wirtschaftsmodell, das dazu neigt, Ressourcen in wenigen Händen zu bündeln.
  • schafft eine Nachfrage nach regionalen Produkten und fördert den Ansatz der regionalen Wertschöpfungsketten. Das zentrale Motiv ist die Versorgung der in einer Region lebenden Menschen unter Berücksichtigung der ökologischen, ökonomischen, sozialen und geographischen Bedingungen (→ Reduzierung der Treibhausgasemissionen durch regionale Wirtschaftskreisläufe).
  • fördert die ökologische-nachhaltige Produktion und Weiterverarbeitung.
  • unterstützt finanziell und beratet Betriebe, die nach ökosozialen und regionalökonomischen Kriterien arbeiten. Arbeitstechnisch leistet sie vielfältige Aufbau- und Entwicklungsarbeit in der Vernetzung und Betreuung in der Vorgründungs- und Start-up Phase von regionalwirtschaftlichen Betrieben.
  • bevorzugt regionale Produkte und zielt darauf ab, den Verbrauch entfernter Produkte und Dienstleistungen durch Produkte und Dienstleistungen aus der Region zu ersetzen und damit die durch das Wirtschaftswachstum verursachte Umweltzerstörung einzudämmen.
  • unterstützt den Slow Tourismus und bietet Touristen den Zugang, um Gastronomie und kleine Händler mit Regional-Produkten zu entdecken und regionale kurze Wege zu unterstützen.
  • stellt mittels Kapitalwirtschaft systematisch die Verbindung zwischen Stadt Luxemburg und ländlichen Raum, Produzenten (Bauern, Forst- und Weinbaubetrieben, Gewerbe, Handwerk) und Konsumenten her.

Zielpublikum

BürgerInnen in ganz Luxemburg

Partner

  • Strategischer Partner, betraut mit der Koordinationsarbeit: Gringgo s.c. (als Träger einer regionalen nachhaltig ökologischen Vermarktungsplattform für Betriebe → www.gringgo.lu)
  • de Kaer asbl (Träger des Regionalgelds Beki)
  • Pakt-Klima-Initiativen der Gemeinden des Kanton Redingen
  • CELL asbl (Centre for Ecological Learning Luxembourg) → Träger des Earthships in Redingen (Sensibiliserung für umweltverträgliches und klimaschonendes Handeln im Alltag)
  • Ministerienebene: Ministère de l’Agriculture / Ministère de l'Environnement, du Climat et du Développement durable

Mögliche weitere Partner

Etika asbl, Uni.lu, Gemeinwohl-Ökonomie Luxemburg asbl (zu sehen)

Maßnahmenbeschreibung / Projektinhalt

Die LEADER-Region Atert-Wark fungiert als Pilotregion für den Aufbau einer Regionalwert AG in Luxemburg.

Projektschritte im Rahmen der Pilotphase:

Baustein 1: Fachkraft

Unter der Federführung des Kantons Redingen soll Gringgo s.c. mit der Koordinationsrolle der Arbeiten im Rahmen der Pilotphase betraut werden (beinhalten Kümmererfunktion sowie Projektbegleitung). Die Genossenschaft Gringgo ist mit seinem Aufgabenfeld als Betreiber der regionalen nachhaltig-ökologisch und auf Klimaneutralität ausgerichteten Vermarktungsplattform der ideale Partner in Sachen Stärkung der regionalen Wirtschaftskreisläufe. Diese Koordinationsrolle ist auf 2 Jahre ausgelegt.

Dreh- und Angelpunkt des Projekts ist die professionelle Koordination, welche eine zielgerechte und zeitliche Umsetzung sicherstellt. Die Kosten für diese Koordinationsrolle werden in der Pilotphase über das Ministerium für Umwelt, Klima und nachhaltige Entwicklung (MECDD) getragen.

Baustein 2: Initiativgruppe

  • Auftaktgespräch
  • Vorgespräche zu der Regionalwert-Idee mit regionalen Akteuren u.a. Bio-Landwirte, Besitzer von Bioläden, Bio-Verbände, Solidarische Landwirtschaft, Regionalgeld, Initiativen im Bereich nachhaltige Wirtschaft (wie z.B. Climeec, die Gringgo-Akteure,…)
  • Suche nach Mitgliedern für eine Initiativgruppe
  • Workshop mit Christian Hiß, Regionalwert Treuhand und Stefan Gothe, Regionalwert-Akademie, Teilnehmer: Interessierte Personen für eine Initiativgruppe
  • Gründung einer Initiativgruppe
  • 12 Arbeitstreffen der Initiativgruppe
  • Ausloten der „Luxemburger“ Ausrichtung einer Regionalwert AG (mögliche rechtliche Organisationsformen, Vor- und Nachteile, Vorbedingungen, etc.)
  • Baustein 3: Öffentlichkeitsarbeit
  • Öffentlicher Vortrag zur Regionalwert-Idee und dem Aufbau von regionalen Wertschöpfungsräumen mit Christian Hiß, Regionalwert Treuhand, Gründer der 1. Regionalwert AG in Freiburg vor 12 Jahren und Stefan Gothe, Regionalwert-Akademie
  • Durchführung von 4 Informationsveranstaltungen u.a. mit Impulsen von externen Referenten (z.B. aus der Regionalwert AG Rheinland)
  • Öffentlichkeitsarbeit (Pressearbeit, Internetseite, social media, etc.)

Baustein 4: Netzwerkarbeit + Organisations- und Arbeitsstrukturen

  • Aufbau eines Netzwerkes (Verbände, Akteure und Multiplikatoren)
  • Suche nach Mitgründern
  • Aufbau einer Arbeits- und Organisationsstruktur (inkl. Suche nach Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern)

Innovation

Die Regionalwert AG-Idee wird erstmals in Luxemburg angedacht.

Periode
LEADER 2014-2020
Projektstatus
in Planung
Projektträger
Syndicat Intercommunal „de Réidener Kanton“ (chef de file LEADER Atert-Wark)
Dauer
Januar 2021 – Dezember 2022
Budget
79.000 €
Kategorie
Bildung & Beratung
Kommunikation
Soziales
Kontakt
Gal LEADER Atert-Wark
34, grand-rue
L-8510
Redange


+352 23 62 24 90